05. August 2022

„Ich bekomme viel mehr zurück als ich gebe“

Gast-Eltern nehmen Kinder mit Behinderung zeitweise auf und schenken Familien Entlastung

Esslingen, 05. August 2022 Gastfamilien, die ein behindertes Kind tage- oder wochenweise aufnehmen, schenken Familien wertvolle Auszeiten und Entlastung. Denn der Alltag mit einem behinderten Kind kann bereichernd aber auch sehr fordern sein. Aktuell sucht die Gast-Eltern-Initiative der Diakonie Stetten im Landkreis Esslingen neue Gast-Eltern, die sich vorstellen können, diese sinnstiftende Tätigkeit zu übernehmen.

„Ich bekomme viel mehr zurück als ich gebe“, so begründet Nanny Focke ihren Einsatz als Gast-Mutter. Die gelernte Intensivpflegerin nimmt Kinder mit Behinderung tage- oder wochenweise bei sich auf, um deren Familien zu entlasten. „Diese Kinder zu erleben ist für mich ein großes Glück und eine Bereicherung. Und gleichzeitig weiß ich, was Eltern leisten, die ein Kind mit Behinderung haben. Ich gebe meine Zeit gerne, um den Familien eine kleine Verschnaufpause zu ermöglichen.“

Begonnen hat ihr Engagement als Gast-Mutter eher zufällig, berichtet Nanny Focke. Sie sei das „Rotkreuzbussle“ gefahren, das Kinder mit Behinderung zu Hause abholt und nach Stetten in die Schule bringt, erinnert sie sich: „Dort habe ich Emilio kennengelernt.“ Als der schwermehrfachbehinderte Junge kurzfristig ein neues Zuhause brauchte, hat sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nicht lange überlegt und den Jungen kurzerhand bei sich aufgenommen. Zunächst nur als Übergangslösung gedacht, wurde Emilio schnell Teil der Familie. Bis zu seinem Tod im Jahr 2020 lebte der Junge als Familienmitglied und Dauerpflegekind im Rahmen des „Betreuten Wohnens in Familien“ der Diakonie Stetten in der Familie und wurde von Nanny Focke rund um die Uhr gepflegt. Emilio wurde sieben Jahre alt. „In dieser Zeit war ich dankbar, wenn ich einmal durchschnaufen konnte. Als ich dann, nach Emilios Tod, von einer Mitarbeiterin der Diakonie Stetten gefragt wurde, ob ich mir nicht vorstellen könnte Gast-Mutter für ein Mädchen mit Behinderung zu werden, habe ich schnell ja gesagt. So kam Johanna zu uns“, erzählt Nanny Focke.

Seit zwei Jahren ist Johanna Brandstetter nun regelmäßig zu Gast bei Familie Focke. Meist ein Wochenende pro Monat verbringt die 18-jährige bei ihrer Gast-Familie. Die junge Frau hat geistige und körperliche Behinderungen, sie kann nicht Sprechen und ist auf umfassende Unterstützung und Pflege angewiesen. „Das Johanna regelmäßig in einer anderen Familie zu Gast sein kann, dass sie dort neue Erfahrungen macht und feste Bezugspersonen hat, empfinde ich als große Entlastung“, sagt Johannas Mutter Michaela Brandstetter „die Aufenthalte tun ihr sichtlich gut. Ich bin Familie Focke und der Gast-Eltern-Initiative sehr dankbar.“

Die Gastaufenthalte von Johanna sprechen die beiden Familien flexibel je nach Möglichkeiten und Bedarf ab. „Das Engagement als Gast-Eltern muss zum eigenen Leben passen“, erklärt Paul Lehmann von der Gast-Eltern-Initiative der Diakonie Stetten, die Gastaufenthalte für Kinder mit Behinderung aus dem Landkreis Esslingen vermittelt „Ob eine Übernachtung am Wochenende oder eine ganze Woche in den Ferien - eine bestimmte Vorgabe wie oft und wie lange ein Kind aufgenommen werden muss, gibt es nicht. Grundsätzlich kann jeder nach Überprüfung durch Jugendamt und Diakonie Stetten Gast-Mutter oder Gast-Vater werden. Die Familien sind oft dankbar für jede Unterstützung. Letztlich muss die Chemie zwischen den Eltern, Gast-Eltern und Kindern stimmen, oft entstehen enge Beziehungen und auch Freundschaften. Eine pädagogische oder medizinische Ausbildung braucht man nicht zwingend, wir begleiten die Gastfamilien und bereiten sie umfassend auf ihre Einsätze vor. Großen Wert legen wir darauf, dass die Gast-Eltern für ihren Einsatz fair entlohnt werden.“

Im Fall von Johanna Brandstetter, ihrer Familie und ihrer Gast-Familie stimmt die Chemie. „Manchmal möchte Johanna einfach auf der Schaukel im Garten sitzen“, berichtet Nanny Focke, „oft Basteln wir auch gemeinsam, sie macht am liebsten Geschenke für ihre Mama. Und alle drei – vier Monate gehen wir zusammen in einen Freizeitpark, das liebt sie.“ Aber: „Gast-Eltern für ein Kind mit Behinderung sein, das muss man wollen“, findet sie. „Wenn Johanna hier ist richtet sich unser Familienleben nach ihr und mein Haushalt bleibt an diesem Wochenende liegen. Das stört mich aber nicht. Für mich überwiegt die Bereicherung durch Johanna und die anderen Kinder, die ich aufnehme. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie wenig es braucht, um einem anderen Menschen etwas zu geben.“

Informationen zur Gast-Eltern-Initiative der Diakonie Stetten im Landkreis Esslingen:

Die "Gast-Eltern-Initiative" im Landkreis Esslingen wurde vom Landkreis Esslingen und der Diakonie Stetten gemeinsam entwickelt und wird heute von der Diakonie Stetten in enger Abstimmung mit dem Landkreis Esslingen angeboten. Seit 2018 bietet sie Kindern und Jugendlichen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung aus dem Landkreis Esslingen kurzzeitig ein Zuhause in Gast-Familien und schafft so mehr Freiraum für die Eltern. Auch Junge Erwachsene können, so lange sie noch die Schule besuchen, das Angebot der Gast-Eltern-Initiative in Anspruch nehmen. Familien, Paare oder Einzelpersonen können nach Überprüfung durch Jugendamt und Diakonie Stetten Gastfamilien werden. Vermittelt und begleitet werden die Gastaufenthalte durch erfahrene Fachkräfte der Diakonie Stetten. Die Gast-Eltern erhalten für ihren Einsatz eine angemessene Aufwandsentschädigung und können verschiedene Fortbildungsangebote der Diakonie Stetten und des Jugendamtes des Kreises Esslingen nutzen. Die Gastaufenthalte werden - je nach Pflegegrad - über die Verhinderungspflege der Pflegekassen und der Eingliederungshilfe finanziert.

Wer sich für eine Tätigkeit als Gast-Eltern interessiert, oder selbst Entlastungsbedarf hat, erhält weitere Informationen von Paul Lehmann vom Betreuten Wohnen in Familien der Diakonie Stetten unter Telefon: 07151 940-1101 oder per Email unter: Paul.Lehmann(at)diakonie-stetten.de

Bildunterschrift: Gast-Mutter Nanny Focke (rechts) mit Gast-Kind Johanna Brandstetter (links) im Freizeitpark. (Foto: Privat)

Über die Diakonie Stetten e.V.

Die im Jahr 1849 gegründete Diakonie Stetten gehört heute zu den großen Trägern sozialer Dienstleistungen in Baden-Württemberg. Auf Basis christlicher Werte und im Sinne der Inklusion setzt sie sich ein für eine Welt, in der niemand mehr ausgegrenzt wird. Die rund 4.000 Mitarbeitenden begleiten Menschen mit unterschiedlichem Unterstützungsbedarf auf ihrem Weg zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe: Menschen mit Behinderung, Senioren, Menschen mit psychischer Erkrankung, junge Menschen mit besonderem Förderbedarf, Kinder, Jugendliche und Familien. Die vielfältigen personenzentrierten Angebote in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Assistenz, Förderung, Pflege, Bildung und Beratung sind vor Ort in den Städten und Gemeinden gut eingebunden und vernetzt – am Stammsitz in Kernen-Stetten, in Stuttgart und an weiteren 35 Orten in den Landkreisen Rems-Murr, Ostalb, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg, Heilbronn und Schwäbisch Hall.

Sammlung zum Karfreitag 2024

Diakonie und Evangelische Landeskirche in Württemberg rufen zu Spenden für „Hoffnung für Osteuropa“ am Karfreitag auf. Mit dieser Aktion unterstützen die Diakonie und Landeskirche in Württemberg die humanitäre Hilfen und Soziale Arbeit ihrer langjährigen Partner in insgesamt zehn Ländern.