11. September 2013 News

Die Pflege muss fair finanziert werden

Mit Autokorsos und anderen Aktionen machen Diakonie- und Sozialstationen in Württemberg mit dem Slogan „Pflege fair finanzieren!“ auf die Unterfinanzierung der Dienste aufmerksam. „Unser Anspruch ist es, dass alte Menschen und ihre Angehörigen zu jeder Zeit eine gute Pflege, Betreuung und Beistand erwarten können“, sagte Oberkirchenrat Dieter Kaufmann Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg. „Jetzt stehen wir aber vor einer Situation, dass gute Pflege definitiv an ihre Grenze kommt.“ Die württembergische Diakonie ist mit 207 Pflegediensten und 4.000 Mitarbeitenden ein großer Anbieter ambulanter Pflege in Baden-Württemberg.

Die Krankenkassen bezahlten nicht einmal die tariflichen Lohnerhöhungen für Pflegekräfte, kritisierte Kaufmann. Während der öffentliche Dienst 2012 und 2013 insgesamt eine Erhöhung von 6,4 Prozent und weitere Arbeitgeberleistungen erreicht habe, böten die Kassen für die ambulante Pflege lediglich eine Erhöhung von zwischen 2 und 2,6 Prozent. Darum habe man nun eine Schiedsinstanz angerufen.

„Tarif ist für uns kein Luxus“, sagte Oberkirchenrat Dieter Kaufmann. Die Pflegekräfte sollen für ihren Einsatz angemessen bezahlt werden. Angesichts der Prognose, dass in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 zusätzlich 60.000 Pflegekräfte vonnöten sind, fragte er: „Wie sollen unter solchen Bedingungen junge Menschen für den Pflegeberuf gewonnen werden?“ Die Pflegearbeit müsse mehr gesellschaftliche und politische Wertschätzung erfahren. Deshalb fordert Oberkirchenrat Dieter Kaufmann auch von der Politik, sich diesem wichtigen Thema anzunehmen: „Wenn politisch gewollt ist, ambulanter Pflege vor stationärer Pflege, muss ambulante Pflege besser finanziert werden“ Die Pflegeversicherung müsse deutlich mehr Geld zur Verfügung stellen.

Kaufmann wies darauf hin, dass seelsorgerliche Aufgaben und zusätzliche Betreuungsleistungen ohnehin durch Kirchengemeinden und kirchliche Fördervereine finanziert würden. Doch könnten inzwischen 60 Prozent der kirchlich-gemeinnützigen Sozialstationen im Südwesten nur noch deshalb überleben, weil sie von Krankenpflegevereinen und Kirchengemeinden Zuschüssen erhielten. Verwundert äußerte sich Kaufmann darüber, dass Gesundheitspolitik und Pflege im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle spielten. Dabei müsse sich ein Großteil der Gesellschaft darauf einstellen, in wenigen Jahren oder Jahrzehnten selbst Pflege zu brauchen.

Johannes Kessler, Abteilungsleiter im Diakonischen Werk Württemberg, wies darauf hin, dass die Ausgaben für die häusliche Pflege nur zwei Prozent der Gesamtausgaben der Krankenkassen ausmachten. Alleine die Verwaltungskosten der Krankenkassen lägen dagegen bei fünf Prozent. Deshalb würde auch eine bessere Vergütung der ambulanten Pflege nicht zu Beitragserhöhungen der Kassen führen.

„Die schwarze Null ist das Ziel, aber es wird immer schwerer dieses Ziel zu erreichen“ meint Silke Breuninger Pflegedienstleiterin der Mobilen Dienste der Evangelischen Heimstiftung in Bad Mergentheim. Sie illustrierte die niedrigen Vergütungssätze mit Beispielen aus der Praxis. Auf den Pflegekräften laste immer auch der Druck, „eigentlich schon beim übernächsten Patienten sein zu müssen“. Auf die umfangreiche Beratungen auch von Angehörigen wies Alexandra Brenner, Qualitätsmanagerin in der Kirchlichen Sozialstation Sachsenheim, hin. In der Praxis bleibe dafür aber immer weniger Zeit. Um einem Patienten eine Insulinspritze zu geben, die Strümpfe anzuziehen und Tabletten zu geben, haben die Schwestern insgesamt drei bis fünf Minuten Zeit. Denn bei Diensten aus einer Leistungsgruppe wird nur eine refinanziert.

Deshalb gehen die Mitarbeitenden der Diakonie- und Sozialstationen jetzt an die Öffentlichkeit. „Bei den Aktionen spielt nicht nur der ständig steigende finanzielle Druck eine Rolle. Auch die zunehmende Bürokratie bei der Genehmigung von Leitungen erschwert die Arbeit und kostet Zeit“ betont Johannes Kessler, Leiter der Abteilung Gesundheit, Alter, Pflege des Diakonischen Werks Württemberg. „Unsere Druckmöglichkeiten sind begrenzt, deshalb bringen wir das Thema an die Öffentlichkeit.“