09. Mai 2014 News

Bischöfe besuchen Pflegeheim zur "Woche für das Leben"

Mehr Einsatz der Gesellschaft für die Pflege fordert Landesbischof Frank Otfried July von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. „Wir müssen endlich ein Pflegebündnis Zukunft schaffen“, so July. Bessere Betreuung für Demenzkranke, höhere Zuschüsse durch die Pflegeversicherung für die Pflegebedürftigen und Anerkennung der Tariflöhne für Pflegende sind für ihn wichtige Elemente des angestrebten Pflegebündnisses Zukunft. Bischof Gebhard Fürst von der Diözese Rottenburg-Stuttgart fordert mehr Hilfen für Schwerstkranke und Sterbende. „Wir brauchen keine gesetzlich geregelte ‚Erlaubnis‘ zur aktiven Sterbehilfe. Wichtig ist, eine Hilfe im Sterben zu pflegen und anzubieten.“ Dazu müssten „Fehlanreize unseres Gesundheitssystems und Fehlsteuerungen wie beispielsweise die Fallpauschalen in der palliativmedizinischen Versorgung“ abgeschafft werden. Beide Bischöfe haben anlässlich der diesjährigen „Woche für  das Leben“ das Pflegezentrum Bethanien in Stuttgart-Möhringen besucht. Sie nahmen an einem musiktherapeutischen Angebot für Demenzkranke teil und machten sich so ein Bild von der besonderen Betreuung der Bewohner auf der Demenzstation des Pflegezentrums. Beide zeigten sich beeindruckt von der Möglichkeit, die geistigen Kräfte von Menschen mit Demenz durch Musik zu reaktivieren. Die ökumenische Aktion, die bis 10. Mai dauert, steht unter dem Motto „Herr, Dir in die Hände…“ und stellt die Würde des Menschen am Ende des Lebens in den Mittelpunkt.

Landesbischof July beklagt, dass die Pflegeversicherung den Betreuungsbedarf von Menschen mit Demenz immer noch zu wenig berücksichtigt. „Der Pflegebedürftigkeitsbegriff muss endlich neu gefasst werden. Er muss sich stärker orientieren an dem Einschränkungsgrad der Selbständigkeit und somit am Versorgungsbedarf von Menschen mit Demenz.“ Angesichts von derzeit rund 1,4 Millionen demenziell Erkrankten ist das nach Meinung von Bischof July längst überfällig. Auch Bernhard Müller-Strölin, Pfleger in der Demenzstation des Pflegezentrums Bethanien, weist auf die besonderen Herausforderungen für das Pflegepersonal hin: „Als Pfleger von Demenzkranken  brauche ich viel Zeit für die Bewohner, denn ich muss zwischen zwei Welten vermitteln: zwischen der Realität und der eigenen gedanklichen Welt, in der die Bewohner leben.“ Dabei gebe es aber eine große Diskrepanz zwischen den eigenen Ansprüchen und den finanziellen und zeitlichen Ressourcen, die dafür zur Verfügung stehen. „Dazu kommt die übermäßige, bürokratische Dokumentation der Pflege, mit der ich ein bis zwei Stunden pro Schicht verbringen muss. Diese Zeit fehlt mir für die Bewohner, auch wenn eine Dokumentation natürlich grundsätzlich sinnvoll ist.“ Eine Maßnahme, dem Zeitmangel für die Bewohner zu begegnen, besteht im Pflegezentrum Bethanien darin, auf zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeitende zurückzugreifen. Edeltraud Elsäßer, ehemals Altenpflegerin, arbeitet in ihrem Ruhestand bereits seit sechs Jahren ehrenamtlich im Pflegezentrum. „Ich bringe mehr Zeit für die Bewohner mit als die Pfleger“, so die 65-Jährige. „Ich kann den Menschen zuhören, mit ihnen spazieren gehen oder ihnen vorlesen und es macht mir viel Freude, weil ich merke, dass es den Menschen gut tut.“ Dies ist auch für Schwester Lidija Ralle die Motivation für ihren Beruf als Altenpflegerin: „Jedes Danke, jedes „Schön, dass Sie da sind“ und jeder Bewohner, der sich bei uns zuhause fühlt, zeigt mir immer wieder, warum mir dieser Beruf seit 25 Jahren so gut gefällt.“

Mehr gesellschaftliche Wertschätzung für die Pflegearbeit erhofft sich der württembergische Landesbischof gerade angesichts der Tatsache, dass bis zum Jahr 2030 allein in Baden-Württemberg über 50.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht werden. Dazu gehöre, dass die Tariflöhne in der Pflege auch von den Kostenträgern anerkannt werden. „Ich finde es empörend, dass bei Pflegesatzverhandlungen keine auskömmliche Vergütung vereinbart werden kann, da die tarifbedingten Personalkostensteigerungen nur teilweise anerkannt werden.“ Stattdessen müsse qualitätsvolle Versorgung mit ordentlich bezahlten und gut ausgebildeten Mitarbeitenden sichergestellt werden. „Dafür ist eine bessere Bezahlung von Pflegeleistungen notwendig. Deshalb muss der Zuschuss durch die Pflegeversicherung erhöht werden.“ Bischof July erwartet mehr kreative Gedanken zur Unterstützung der Pflege. „Wenn Soli-Abgabe, dann Pflege-Soli. Ich unterstütze alle Bemühungen, auch der Politik, die sich für eine bessere Pflege einsetzen.“

Für Bischof Fürst dürfen Sterben und Tod nicht länger als Störfall empfunden werden. „Sie sind Inbegriff des Lebens und müssen einen Platz in der Lebenswirklichkeit haben.“. Dazu gehöre, dass wir eine Kultur der Hilfe im Sterben entwickeln. „Aus Erfahrung wissen wir, dass der Ruf eines Menschen am Lebensende nach dem Tod oftmals ein Ruf aus tiefer Hilflosigkeit ist. Angst vor Schmerz, Angst vor Fremdbestimmung durch eine hochtechnisierte Apparatemedizin, Angst vor dem Alleinsein angesichts der fortschreitenden Ressourcenknappheit im Pflegebereich und Angst vor dem Nicht-mehr-Sein“, so der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Für ihn ist ein menschenwürdiges Sterben abhängig von menschlicher Begleitung, pflegerischer und medizinischer Zuwendung.

„Wir brauchen eine neue Sorge- und Annahmekultur für Menschen am Lebensende und für deren Angehörigen.“ Bischof Fürst sieht es als wichtigen Punkt an, der eigenen Sterblichkeit und den damit verbundenen Fragen nicht auszuweichen. Eine Patentenverfügung sei eine Möglichkeit zum Ordnen der letzten Phase des Lebens. Die beiden Kirchen haben dazu mit der „Christlichen Patientenvorsorge“ eine Hilfestellung herausgegeben. „Sorge dafür zu tragen, dass der Sterbende sich bis zum Schluss als geliebt und gewollt fühlt“, das sieht Bischof Fürst als Maßstab für christliches Handeln.

Seit mehr als 20 Jahren steht die „Woche für das Leben“ für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens und seinen Schutz in allen Lebensphasen. Sie will auf die vielfältigen Gefährdungen des menschlichen Lebens hinweisen und Menschen in Kirche und Gesellschaft für die Schutzwürdigkeit des Lebens in allen seinen Phasen sensibilisieren. Die „Woche für das Leben“ ist eine gemeinsame Aktion der Katholischen und Evangelischen Kirche in Deutschland.