Das Risikoparadox – Forum Zukunft
Wenn wir uns vor ungesunden Lebensmitteln fürchten, die immer größere Kluft zwischen arm und reich uns aber weniger stört, dann fürchten wir uns vor dem Falschen. Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn nennt das Risikoparadox und will die Sorge von den konventionellen Risiken auf die systemischen lenken. Bei dem Abend für Vorstände, Geschäftsführende und Vorsitzende der Aufsichtsgremien in der württembergischen Diakonie sagte Oberkirchenrat Dieter Kaufmann: „Das größte Risiko ging vermutlich Gott ein, als er den Menschen schuf.“
Der Mensch sei nicht nur Träger von Risiko, sondern gestalte Zukunft mit, sagte Renn. Das Risikomanagement sei seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Erfolgsgeschichte. Der wissenschaftliche Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam und Inhaber des Lehrstuhls „Technik- und Umweltsoziologie“ an der Universität Stuttgart nannte die höhere Lebenserwartung und den Rückgang an Unfällen und Krankheiten als Beispiele für die Minimierung konventioneller Risiken. Als weitaus bedrohlicher stufte er systemische Risiken ein, die nicht eingrenzbar, nicht linear und sehr komplex sind. Sie verursachen „eine große Transformation der Gesellschaft“. Die Digitalisierung beispielsweise berge Cyber-Risiken mit großen Folgen etwa für die Gesundheit, wenn Kliniken nicht mehr arbeitsfähig sind. Auch ökologische und soziale Risiken zählt er zu den Themen, die Beachtung brauchen. „Wir müssen uns befreien von der Hysterie bei konvenstionellen Risiken und uns trauen, systemische Risiken anzugehen“, sagte Renn.
Als positives Motiv für notwendige Verhaltensänderungen empfahl Prof. Dr. Wilfried Härle, emeritierter Professor für systematische Theologie an der Universität Heidelberg „die Einbeziehung von Chancen“. Auch Emotionen und Affekte dürften vor rationalem Kalkül stehen. Härle sprach dem Menschen eine „Risiko-Mündigkeit“ zu. In der Bibel gebe es schon mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis, dem Turmbau zu Babel oder der Versuchungsgeschichte einige Beispiele für die Entscheidung, sich für oder gegen Risiken und Chancen zu entscheiden. „Maximale Opposition“ sieht er in dem Bibelwort „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele“. Der Diakonie gab er mit, die Risiken mit der Lebenshoffnung zu verbinden, neben der Angst in der Welt stehe Jesu Zusage der Überwindung der Welt .
Die Bergsteigerin und Künstlerin Heidi Sand hat den Mount Everest und weitere hohe Berge bestiegen. Auch bei der besten Gefahrenanalyse bleine ein restrisiko, sagte sie. Obwohl sie ihren Bruder und „liebsten Kletter-Partner“ erst kürzlich durch einen Lawinenabgang verlor, geht sie weiter in die Berge.
Dr. Marlene Gottwald, Wissenschaftlerin am Ferdinand-Steinbeis-Institut, leitet den Forschungsbereich Digitalisierung & Gesellschaft, analysiert derzeit Einstellungen zum autonomen Fliegen. Sie ist überzeugt davon, dass Menschen Vorbehalte und Angst vor Kontrollverlust verlieren, wenn sie sich mit der Zukunftstechnologie beschäftigen.