08. November 2024

Sexkauf ist Gewalt. Projekt Rahab hilft betroffenen Frauen im Landkreis Esslingen.

Kerstin Neuhaus steht vor einem Roll-up mit Aufschrift Rahab.
„Sexkauf ist Gewalt.“ Sozialarbeiterin und Referentin Kerstin Neuhaus war zu Gast beim „Runden Tisch Prostitution“ am 6. November in Leinfelden-Echterdingen. © Caspar

Trotz effektiver Arbeit steht das Team des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen vor einer unsicheren Zukunft. 

„Die Freier haben gewisse Fantasien, dich zu würgen oder angsterfüllt zu sehen. Das kann sehr gefährlich werden“, berichtet eine Klientin von „Rahab“, dem Projekt des Kreisdiakonieverbands zur Beratung von Menschen in der Prostitution. Natürlich bleibt die Klientin anonym. Denn Prostitution ist auch im Landkreis Esslingen von psychischem oder körperlichem Zwang geprägt. Es geht um viel Geld für die Hintermänner und um wenig Schutz und Würde für die Frauen, die in der Prostitution arbeiten müssen.

Der Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen hatte am Mittwoch, 06. November 2024, zum „Runden Tisch Prostitution“ in die Zehntscheuer nach Leinfelden-Echterdingen eingeladen, um über die Arbeit des Projekts Rahab zu berichten. Über 30 Vertreter und Vertreterinnen aus der Kommunalpolitik, von Gesundheitsämtern, Sozialen Diensten, Verbänden und Vereinen sowie von der Kriminalpolizei des Regierungsbezirks Reutlingen waren gekommen. Die Geschäftsführerin des Kreisdiakonieverbands Tanja Herbrik freute sich entsprechend: „Es ist für uns ein Signal der Wertschätzung, dass die wichtige und effektive Arbeit von Rahab auf so viel Interesse stößt.“ 

Projektleiterin Claudia Brendel nannte die aktuellen Zahlen aus dem Projekt: „Im Landkreis Esslingen gibt es momentan sieben offizielle Einrichtungen zur Prostitution mit 118 angemeldeten Prostituierten“, berichtet sie. Einig mit der Kripo war sie sich dabei in zwei wichtigen Punkten: Die Dunkelziffer nicht angemeldeter Prostituierter ist sehr hoch und mindestens 80% der Frauen gehen der Sexarbeit nicht freiwillig nach, sondern sind Zwangsprostituierte. Rahab führt seit 2020 jährlich etwa 300 Beratungen durch und hatte im Jahr 2023 etwa zu 63 neuen Klientinnen Kontakt. „Etwa die Hälfte der Kontakte entsteht dabei durch Empfehlungen aus dem Milieu, 25% der Kontakte erhalten wir durch Streetwork vor Ort“, beschreibt Claudia Brendel die Arbeit des Projektteams. Die Frauen werden dabei bei gesundheitlichen, sozialen und rechtlichen Themen beraten. Die Streetworkerinnen Silvia Vintila und Neele Petikis unterstützen auch bei Kontakten und dem Austausch mit Behörden, finanziellen Notlagen oder anderen schwierigen Situationen. Sie sind verlässliche Ansprechpartnerinnen und begleiten die Frauen eng beim Ausstieg.

Prostitution ist jedoch nicht vorstellbar ohne die Freier, die Sex kaufen und dabei Geld in die Kassen jener spülen, die die Frauen oft genug ausnutzen oder sogar zur Prostitution zwingen. So stellte die Sozialarbeiterin und Referentin des „Bündnis Nordisches Modell“, Kerstin Neuhaus, beim Runden Tisch die sogenannte „Freierstudie“ vor, bei der sie mitwirkte und bei der fast einhundert Freier befragt wurden. Freier, so Kerstin Neuhaus, kommen der Studie zufolge aus allen sozialen Schichten und Altersstufen von 18 bis 90 Jahren. Den Befragten sei durchaus bewusst gewesen, dass die Frauen ihrer Arbeit oft nicht freiwillig nachgehen, sondern vielmehr zur Prostitution gezwungen werden. Kerstin Neuhaus ist hier mit dem Rahab-Team einig: „Sexkauf ist Gewalt.“

Dass viele Opfer dieser Gewalt im Landkreis Esslingen auch in Zukunft Unterstützung von Rahab erhalten können, ist jedoch unsicher. Denn, so Geschäftsführerin Tanja Herbrik: „Die bisherigen Förderungen laufen aus und wir wissen bis jetzt nicht, wie wir Rahab ab 2026 finanzieren sollen.“ Aus Sicht von Tanja Herbrik ist eine Fortführung der Arbeit von Rahab dringend notwendig. Dafür brauche es aber eine verlässliche Finanzierung. Tanja Herbrik: „Außer Rahab ist niemand für die Frauen da. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Es ist nicht zuletzt eine politische Verantwortung, ob man hier die Augen schließen oder ein gesellschaftliches Problem angehen will.“