01. August 2025

„Einige meiner Ex-Schüler sind jetzt meine Kollegen“

Vier fröhliche Erwachsene stehen zusammen und lächeln in die Kamera
© Paulinenpflege

Berufskolleg-Abteilungsleiterin Eva Paulus geht nicht nur in die Sommerferien, sondern auch in den Ruhestand.

Ihre ersten Tage in der Paulinenpflege vor 39 Jahre begannen mit heftigen Gebärden: „Als ich hier auf dem Berufsbildungswerk-Gelände über die Wiese gelaufen bin, kam mir der damalige Hausmeister entgegen und gebärdete, dass man hier nicht gehen dürfe. Er dachte, ich sei eine gehörlose Schülerin“, erinnert sich Sonderpädagogin Eva Paulus. Inzwischen ist das Grün zwischen dem BBW Winnenden und der Schule beim Jakobsweg nicht mehr so heilig und sie wird seltener mit Schülern verwechselt. „Aber einige meiner Ex-Schülerinnen sind jetzt meine Kolleginnen. Das freut mich sehr“, sagt Eva Paulus.
An einem ihrer letzten Arbeitstage vor den Sommerferien und dem Ruhestand sitzt sie an eben jener Wiese und blickt auf ihren Dienst in der Paulinenpflege zurück: „Nach meinem Studium in Heidelberg gab es eine Lehrerschwemme und an staatlichen Schulen keine freien Stellen. Mein Glück war, dass ein Studienkollege die Paulinenpflege kannte. Dort habe ich mich beworben und so bin ich 1986 zu einem Lehrkräfte-Team dazugestoßen, das gerade die frisch gegründete Berufsfachschule für junge Erwachsene mit Hör- und Sprachbehinderung aufgebaut hat. Das war eine spannende Zeit.“ So ist sie an den ersten Prüfungen mitbeteiligt und leistet mit ihren Kolleginnen und Kollegen Pionierarbeit. „Ich habe schnell einen ganz besonderen Geist gespürt: Man kann hier die Dinge selbst in die Hand nehmen, konstruktiv Kritik üben, aber man beleidigt hier niemanden. Allen war wichtig, dass man sich immer in die Augen schauen kann.“ Geschätzt hat sie auch die Leichtigkeit und den Humor, den manche Kollegen ausgestrahlt haben.

Schwieriger war es damals die Gebärdensprache zu lernen, da von der Paulinenpflege noch keine Gebärdenkurse angeboten wurden: „Mein einziger Berührungspunkt mit der Gebärdensprache war während des Studiums ein Projekt mit religiösen Gebärden zum Vaterunser. Und so musste ich mich selbst kümmern, Gebärden zu lernen. Mich hat dann zum Beispiel eine gehörlose Schülerin unterrichtet. Irgendwann habe ich dann sogar meine Dolmetscherprüfung beim Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg abgelegt“.

Kein Wunder, dass sie begeistert von der Idee war, 2009 in der Paulinenpflege das erste Berufskolleg mit Schwerpunkt Gebärdensprache für Regelschüler zu gründen. Und auch hier war wieder Pionierarbeit gefragt: „Es gab bis dahin noch kein vergleichbares Schulmodell in Deutschland. Und so mussten die Profilfächer wie Gebärdensprache, Technik und Medien für Hörgeschädigte sowie andere Kommunikationsformen erst konzipiert werden. Es waren dann 28 Schüler im 1. Jahrgang und wir total aufgeregt: Die sollen Fachhochschulreife machen, können wir das?“ Sie konnten es dank der großen Motivation von Eva Paulus und ihrem Team.

Ein Jahr später noch ein Meilenstein in ihrer Laufbahn: Eva Paulus wird Abteilungsleiterin aller inzwischen vier Berufskollegs an der Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege: „Obwohl ich dann mehr im Organisatorischen und weniger in den Klassenzimmer war, kenne ich bis heute noch jede Schülerin und jeden Schüler. Der Kontakt ist mir auch als Abteilungsleiterin sehr wichtig gewesen“. Wichtig und ihr Baby war ebenso der inklusive Gebärdenchor „Hands on Music“, der von Anfang an das Aushängeschild des Berufskollegs Gebärdensprache war. Mit diesem Chor sind sie und ihre Schülerinnen u.a. auch vor Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder vor dem Landeschbischof aufgetreten.

Inklusiv war auch der Ansatz, ein Sozial-Ethisches-Profil am Georg-Büchner-Gymnasium zu etablieren, zu dem auch ein Paulinenpflege-Praktikum für alle Elftklässler gehörte, das sie mitbegleitet hat: „Knapp hundert Winnender Gymnasiastinnen und Gymnasiasten für eine Woche in allen Bereichen der Paulinenpflege sinnvoll unterzubringen, war eine große Herausforderung. Das hat mir auch den Blick für die gesamte Einrichtung geöffnet“. Ein ebenso spannendes Paulus-Projekt war ein Kunstprojekt gemeinsam mit den Winnender Schulen und dem ZfP Schloss Winnenden. „Mich hat einfach immer der Blick über den Tellerrand gereizt - Menschen zusammenzubringen, die sich sonst so nicht begegnen würden“. Vergessen wird sie auch nicht, die ganz besondere Berufsfachschulen-Atmosphäre inklusive ständigem Back-Duft im Obergeschoss des Bäcker-Maurer-Gebäudes in der Linsenhalde: „Wir haben uns damals die Schreibtische auf engstem Raum geteilt. Das hat uns zusammengeschweißt wie auf einer kleinen Insel“.

Auch wenn es ihr im Ruhestand ganz bestimmt nicht langweilig wird aufgrund von Enkelinnen, Reiselust und Malen, wird Eva Paulus doch einiges vermissen: „Ein neuer Kollege hat vor kurzem gesagt: ‚Man ist hier an der Schule nicht nur Lehrkraft, sondern auch Mensch. Das spürt man überall!‘ Genauso geht’s mir auch. Auch als es mir mal nicht so gut ging, haben mich meine Kolleginnen durchgetragen und unterstützt. Ich hatte in allen Paulinenpflege-Etappen tolle Kolleginnen und Kollegen. Dafür bin ich sehr dankbar“.