12. September 2025

Sorge um Mitbestimmung

Zwei Menschen sitzen an einem Tisch und malen mit bunten Textmarkern und Stiften Worte aus.
Die Mariaberger Bewohnerbeiräte haben Statement-Plakate gestaltet, um ihre Haltung zur Reform des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetzes zu verdeutlichen. Diese sendeten sie auch mit einem Brief an Sozialminister Manne Lucha. © Mariaberg e. V.

Bewohnerbeirat befürchtet in Gesetzesänderung Abschwächung seiner Rechte 

Gammertingen-Mariaberg (ave). „Ich bin dafür, dass der Bewohnerbeirat so erhalten bleibt, wie bisher.“ Die Haltung von Patrick Knaus, einem der Bewohnerbeiräte des diakonischen Sozialunternehmens Mariaberg, ist eindeutig – zustimmendes Nicken seiner Kolleginnen und Kollegen im letzten Treffen vor der Sommerpause im Kommunikationszentrum in Gammertingen-Mariaberg. Hauptthema war hier die Gesetzesänderung des Wohn- Teilhabe- und Pflegegesetzes (WTPG) des Landes Baden-Württemberg von 2014, die im Herbst verabschiedet werden soll und mit der unter anderem die Abschaffung der Landesheimmitwirkungsverordnung von 2010 einhergeht. Sie betrifft Einrichtungen der Pflege und Eingliederungshilfe. 

Das WTPG soll neu gefasst werden, um unter der neuen Überschrift „Gesetz für Teilhabe- und Pflegequalität (TPQG)“, laut Pressemitteilung des Sozialministeriums vom 09.04.25, Prozesse „zu entbürokratisieren und zu flexibilisieren, um die Heimaufsichtsbehörden, aber auch die Träger von gut geführten Einrichtungen zu entlasten (…)“. Auf über 90 Seiten werden dafür verschiedene Stellschrauben aufgeführt – der Erhalt und Ausbau der Wohnqualität, Teilhabe, und Selbstbestimmung der Klient*innen wird dabei stets betont. Ein gemeinsames Ziel, das die Träger der freien Wohlfahrtspflege und der Gesetzgeber teilen.

Umso mehr hat deshalb eine kleine, aber feine Änderung Fragen unter den Fachverbänden und auch im Mariaberger Bewohnerbeirat aufgeworfen: stand im WTPG von 2014 noch ganz klar im § 9, Absatz 1: „Die Bewohner einer stationären Einrichtung wirken in Angelegenheiten ihrer stationären Einrichtung durch einen Bewohnerbeirat mit (…)“ mit klar definierten Rechten und Pflichten des Bewohnerbeirats in der dazugehörigen Landesheimmitwirkungsverordnung (LHeimMitVO), steht nun im neuen Entwurf von 2025 im § 1, Absatz 5: „(…) dass die Einrichtungen die Mitwirkung und Mitgestaltung der Bewohnerinnen und Bewohner gewährleisten und fördern sollen (…)“. In den Erklärungen dazu heißt es, es wäre: „(…) wünschenswert, dass die Träger von Einrichtungen der Eingliederungshilfe die Mitwirkung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner besonders fördern und sich aktiv für die Bildung von Mitwirkungsgremien einsetzen.“ Die Sorge: In Kombination mit dem Außerkrafttreten der LHeimMitVO scheinen die Rolle und Mitwirkungsrechte des Bewohnerbeirats nun aufgeweicht zu werden. Aus einer Pflicht für die Einrichtung, ein solches Gremium zu haben und zu unterstützen, wird ein „Soll“.

„Verstehe ich nicht: Warum ist diese Unterscheidung dem Bundesland jetzt so wichtig?“, fragt Bewohnerbeirätin Dana Kruse im Mariaberger Kommunikationszentrum. Eine gute Frage, die Ratlosigkeit in der Runde auslöst. Eine Erklärung ist, dass sich in Einrichtungen der Seniorenpflege in der Vergangenheit wohl kaum Personen für das Mitwirken im Heimbeirat gefunden hätten und das Gremium sich nicht bilden konnte. Damit verstießen z.B. Altenheime gegen die Verordnung, die verpflichtend einen Beirat vorsah – auch, wenn die Bewohnenden selbst offenbar keinen Bedarf an einem solchen hatten. In Einrichtungen der Eingliederungshilfe hingegen verbringen die Menschen mit Unterstützungsbedarf oft einen großen Teil ihres, wenn nicht ihr ganzes Leben und haben Interesse, dieses mitzugestalten. Das neue Gesetz erkennt diese Unterscheidung in seinen Ausführungen zwar an, bildet sie aber im entsprechenden Paragrafen nicht eindeutig ab. „Diese Änderung verunsichert und wir wünschen uns, dass allen Bewohnerbeiräten im Bereich der Eingliederungshilfe weiterhin selbstverständlich die Unterstützung zugestanden wird, die sie zur Ausübung ihres Amtes benötigen“, sagte der Mariaberger Vorstand Michael Sachs.

Auch der Angehörigenbeirat des Mariaberg e.V. hat sich in einer Resolution vom Juli der „Gemeinsamen Anfrage zur Reform des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetzes“ der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Baden-Württemberg angeschlossen, die diese im Mai veröffentlicht hatte und die Novellierung kritisch sieht. Nächstes Jahr begehen der Mariaberger Bewohnerbeirat und der Angehörigenbeirat gemeinsam feierlich ihr 50-jähriges Jubiläum – damit gehören sie zu den ältesten Vertretern dieser Gremien in Deutschland. Im November findet die nächste Sitzung des Gesamtbewohnerbeirats in Mariaberg statt – bis dahin wird Klarheit über das neue Gesetz herrschen. Sachs konnte „seinen“ Bewohnerbeiräten vor Ort die Unterstützung der Leitung zusichern und die Sorgen nehmen: „Wir sind sehr dankbar für Ihr Engagement. Was da auch kommt: von Seiten des Vorstands stellen wir den Bewohnerbeirat nicht in Frage. Wir halten an seiner 50-jährigen Tradition fest. Ihre Stimme ist uns wichtig.“