01. Juni 2017 Positionen

Positionierung der Diakonie zur Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg

Integration statt Abschiebung junger Geflüchteter

Flucht und Vertreibung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Aus ihrer christlichen Verantwortung heraus engagiert sich die Diakonie in der Flüchtlingshilfe hier und weltweit und wendet sich heimatlosen Menschen und Opfern von Gewalt zu. Von den rund 65 Millionen Flüchtlingen weltweit sind über die Hälfte Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

In Baden-Württemberg werden derzeit knapp 8.000 junge Flüchtlinge, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kamen, stationär untergebracht und betreut. Fast 90 % der Minderjährigen werden innerhalb von 18 Monaten die Grenze zur Volljährigkeit erreichen. Rund 1.500 der 8.000 in Baden-Württemberg untergebrachten jungen Flüchtlinge werden von diakonischen Einrichtungen der Jugendhilfe in Württemberg betreut und darüber hinaus auch schulisch und beruflich qualifiziert.

Die Diakonie Württemberg setzt sich mit einer Vielzahl von Angeboten für junge Flüchtlinge ein. An der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger beteiligen sich 45 diakonische Einrichtungen der Jugendhilfe an über 50 Standorten in 26 Stadt- und Landkreisen. Die Angebote umfassen Plätze zur vorläufigen oder dauernden Inobhutnahme, Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige in Wohngruppen der Heimerziehung, des Betreuten Jugendwohnens, in Jugendwohnheimen, Internaten und Gastfamilien.

Die Einrichtungen der Diakonie in Württemberg erreichen rund 8.000 junge Flüchtlinge und Familien mit Unterbringung und Betreuung unbegleiteter Minderjähriger und junger Volljähriger in evangelischen Kindergärten und Schulen, in Einrichtungen der Beruflichen Bildung und Integration, in Angeboten der Jugendmigrationsdienste, Offenen Jugendarbeit, Schulsozialarbeit und Mobilen Jugendarbeit, in Familienzentren und bei der sozialen Betreuung in Gemeinschaftsunterkünften.

Für alle jungen Flüchtlinge gilt, dass eine menschenwürdige Betreuung mit dem Recht auf gelingendes Aufwachsen und der Chance auf Integration verbunden sein muss. Diese Perspektive ist für viele dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Grund der restriktiven Abschiebepolitik des Bundes und auch des Landes, nicht mehr gegeben.

Gerade junge Flüchtlinge benötigen eine nachhaltige Begleitung, doch sie erwartet nach der Betreuung in unseren Wohngruppen oder nach Eintritt der Volljährigkeit ein ungewisses Schicksal. Obwohl sie sich sprachlich und schulisch qualifiziert, sich kulturell und sozial in Deutschland eingefunden haben, bekommen diese jungen Menschen oft wenig gezielte Hilfe und Betreuung; im Gegenteil, zunehmend sind auch junge Volljährige trotz guter Integrationschancen von Abschiebung in Krisengebiete bedroht, meist ohne ausreichende Prüfung des Einzelfalls, auch wenn dort kein familiärer Anschluss mehr möglich ist. Nach Auffassung der Diakonie verstößt Deutschland damit gegen den Geist der UN Kinderrechtskonvention, die einen Schutz junger Menschen vorsieht, auch wenn sie volljährig sind.

Verschärft wird die Lage durch zunehmend vom Innenministerium und den unteren Ausländerbehörden aufgebauten Hürden gegen die Arbeitserlaubnis von Flüchtlingen, trotz erheblicher Proteste aus der Wirtschaft und von Kommunen. Der Beginn einer Ausbildung oder weiterer Qualifizierungsmaßnahmen werden oft verhindert mit der Begründung, dass der laufende Asylantrag der jungen Geflüchteten voraussichtlich zu einer Ablehnung führen wird. Diese vom Innenministerium des Landes gestützte Praxis verwehrt den jungen Flüchtlingen Perspektiven auf eine gute und selbstbestimmte Zukunft. Das ist christlich nicht vertretbar und volkswirtschaftlich nicht nachvollziehbar. Gerade Baden-Württemberg sucht dringend junge Fachkräfte und seitens der Wirtschaft gibt es eine generelle Bereitschaft zur beruflichen Integration.

Die Diakonie Württemberg erwartet von der Bundesregierung und, insbesondere auch von der Landesregierung, klare Bekenntnisse zur uneingeschränkten Integration junger Flüchtlinge. Dazu sind qualifizierte und bedarfsgerechte Angebote der Unterbringung und Betreuung junger Flüchtlinge nach den Standards der Jugendhilfe erforderlich. Dazu gehören zeitnahe Sprachkurse und Vorbereitungsklassen sowie gezielte sozialpädagogische Begleitung, damit die Integration in Schule, Beruf und Gesellschaft gelingen kann.

Die Diakonie Württemberg appelliert an Politik und Behörden alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um jungen Flüchtlingen zu guten Integrationschancen zu verhelfen und einen gesicherten Aufenthalt zu ermöglichen, unabhängig von deren jeweiligem Herkunftsland.
Wir fordern deshalb:


  1. 1. Alle jungen Flüchtlinge in schulischen oder beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen haben uneingeschränkten Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe, auch über das 21. Lebensjahr hinaus.

  2. 2. Abschiebungen von jungen Flüchtlingen, die sich in Maßnahmen der Jugendhilfe zur schulischen, beruflichen und sozialen Integration befinden, sind generell auszuschließen, soweit von diesen keine schweren Straftaten begangen wurden.
  3. 3. Alle jungen Geflüchteten in Betreuung erhalten uneingeschränkt eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit, auch während des laufenden Asylverfahrens und bei Duldung nach abgelehntem Asylantrag.
    Eine Aufhebung der Erlaubnis kann nur bei nachweislicher Verweigerung der Mitwirkung zur Erlangung erforderlicher Papiere erfolgen.
  4. 4. Im Anschluss an Qualifizierungen und Ausbildung soll jungen Geflüchteten mindestens eine zweijährige berufliche Tätigkeit zum Nachweis der sozialen und beruflichen Integration ermöglicht werden.
  5. 5. Junge Geflüchtete in Betreuung erhalten anwaltliche Beratung, Unterstützung und Begleitung in allen Fragen des Asylverfahrens und der Klärung alternativer Aufenthaltsmöglichkeiten, finanziert aus öffentlichen Mitteln.