Teilhabe und BTHG – Unsere Forderungen und Bewertung des Koalitionsvertrags

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll für Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe bringen. Seine Umsetzung in Baden-Württemberg kommt aber nur langsam voran.

1. Sicherheit für Einrichtungen und Dienste

Das BTHG ist Chance und Herausforderung zugleich. Um sie zu meistern, müssen Leistungsträger, Leistungserbringer und die Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung Hand in Hand arbeiten. Ein partnerschaftlich ausgehandelter und gemeinsam formulierter Rahmenvertrag ist die beste und erfolgversprechendste Basis dafür. Dieser Aushandlungsprozess droht aber immer wieder an der prospektiven Finanzierung der dort festzulegenden Leistungen zu scheitern. Das darf das Land nicht zulassen. Angebote, bzw. Angebotsentwicklungen dürfen nicht durch Sparvorgaben der Leistungsträger behindert werden. Dadurch wird das alte System im neuen verfestigt.

Gespräch mit Eva-Maria Armbruster, Vorstand Sozialpolitik (bis 30.4.22) der Diakonie Württemberg, zu dieser Forderung:

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Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Die Landesregierung verspricht im Koalitionsvertrag die Durchsetzung der landesweiten Umsetzung des Landesrahmenvertrags SGB IX. Dies ist wichtig, um die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderung herzustellen.

2. Teilhabe durch Wohnraum

Das BTHG fordert die Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen. Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr in einem Wohnheim leben müssen, nur weil geeignete und bezahlbare Wohnformen fehlen. Menschen mit Behinderung in unseren Einrichtungen und Angeboten sind durch das BTHG Empfänger von Grundsicherung oder Sozialhilfe. Um schnell mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, muss die Obergrenze der erstattbaren Mieten in der Sozialhilfe um 50 Prozent erhöht werden.

Karl-Heinz Weichert sucht seit zwei Jahren nach einer bezahlbaren Wohung:

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Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Die bisherigen Förderprogramme werden weitergeführt, was die Diakonie Baden-Württemberg begrüßt. Doch die Förderbedingungen müssen auf die tatsächlichen Bedingungen der Wohnungswirtschaft angepasst werden. Dies bedeutet insbesondere zeitlich straffe Verfahrensabläufe und die Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung auf dem Bau- und Wohnungsmarkt.

3. Teilhabe und Chancengleichheit

Das BTHG ist eine Chance, die soziale und berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Aufgabe des Landes ist es, einen geeigneten Leistungsträger zu benennen und in der Umsetzung des BTHG landesweit für vergleichbare Verhältnisse zu sorgen. Wir rufen das Land auf, durch den gesetzlich festgelegten Sicherstellungsauftrag mehr Verantwortung zu übernehmen. Es soll eine mit steuernden Kompetenzen ausgestattete Arbeitsgemeinschaft einrichten.

Kirchenrätin Eva-Maria Armbruster zur Notwendigkeit und den Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft (MP3)

Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Die Kontrolle der Umsetzung des Landesrahmenvertrags SGB IX soll durch ein kontinuierliches Monitoring erfolgen. Es wird am Gesetz zur Umsetzung des BTHG festgehalten. Die in diesem Gesetz angelegte Weisungsfreiheit gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe wird zunächst nicht angegriffen. Das Monitoring darf nach Ansicht der Diakonie nicht einziges Instrument bleiben.

Die umfassende und kompetente Beratung für ratsuchende Menschen mit Behinderung ist teilweise beachtet. Der Verweis auf die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) darf aber nicht dazu führen, dass etablierte Beratungsnetze wie Sozialpsychiatrischen Dienste oder die Beratung für Hörgeschädigte ausgehöhlt werden.

4. Hilfe und Hilfebedarf

Die genaue Erfassung von Hilfebedarfen ist aufwändig. Aber sie bietet die Chance, am Menschen orientierte und bedarfsgerechte Angebote zu finden. Die Abfrage der Teilhabebeeinträchtigungen nach verschiedenen Lebensbereichen, die international klassifiziert sind, führt weg von der rein subjektiven Beurteilung durch Leistungserbringer und Leistungsträger. Das Bedarfs-Ermittlungs-Instrument in Baden-Württemberg bietet die Möglichkeit, dass die Hilfe erfasst wird, die tatsächlich benötigt wird. Wir fordern das Land auf, die Hoheit über das Instrument in der eigenen Verantwortung zu halten und über den Beirat die Weiterentwicklung zu begleiten.

Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Das Festhalten und Bekräftigen des Bedarfsermittlungsintruments BEI_BW ist ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung des BTHG in Baden-Württemberg. Es ist ebenfalls ein wichtiger Beitrag zur Herstellung von vergleichbaren Lebensverhältnissen für Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Diese Absicht wird aber nur dann erreicht, wenn sichergestellt wird, dass diese einheitliche Bedarfsermittlung auch zu einer vergleichbaren Leistungsbescheidung führt. Hierauf muss die Landesregierung verstärkt achten.


Kommentierung einzelner Themen, die nicht in den Forderungen der Diakonie Baden-Württemberg enthalten waren:

Politische Teilhabe für alle

Die Stärkung der Rechte der Menschen mit Behinderung ist wichtig und sinnvoll, sie ist im Koalitionsvertrag gut abgebildet. Menschen mit psychischer Erkrankung sind nicht explizit erwähnt. Weitere Maßnahmen zur Stärkung der Partizipation von Menschen mit Behinderung sind notwendig.

Barrierefreiheit

Das Thema Barrierefreiheit ist bei der Landesregierung präsent und in vielen Bereichen ausdrücklich berücksichtigt. Barrierefreiheit ist nicht nur ein Thema von Gebäuden, sondern auch von Kommunikation, Haltungen und Einstellungen.

Ausbildungsgarantie

Alle jungen Menschen mit Behinderung bekommen die Sicherheit eine Ausbildung absolvieren zu können. Es muss sichergestellt werden, dass sie die gleichen Wahlmöglichkeiten habe und hier nicht benachteiligt werden.

Arbeitschancen verbessern

Die Betonung des Übergangs auf den ersten Arbeitsmarkt darf nicht dazu führen, dass Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf nicht beachtet werden. Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) leisten einen wesentlichen Beitrag zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in WfbMs müssen ebenso personenzentriert ausgestaltet werden, wie andere Leistungsbereich auch.

Inklusiver Arbeitsmarkt

Bundeseinheitliche Regelungen werden unterstützt, damit die Sozialpartnerschaft, die Tarifbindung und Mitbestimmung nachhaltig gestärkt werden. Das Land muss diese Prozesse auf Bundesebene stützen, damit die Neuordnung der Entlohnung der Beschäftigten in einer WfbM weiterentwickelt wird.

Langzeitarbeitslosigkeit

Menschen mit Behinderung sind von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht. Deshalb ist der Ausbau von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch entsprechenden  Arbeitsplätzen für diesen Personenkreis in Ministerien und Behörden sinnvoll.

Frühkindliche Bildung und Schule

Die Ziele in diesem Bereich sind kritisch zu betrachten: Inklusion in der frühkindlichen Bildung nur mit Modellversuchen anzugehen, ist zu wenig. Der Qualitätsrahmen Inklusion muss auch die Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren umfassen. Kinder mit einen erhöhten Unterstützungsbedarf müssen dieselben Chancen bekommen.

Quartier Förderprogramm „Gemeinsam unterstützt und versorgt wohnen“ ausbauen

Wichtig ist, dass das Förderprogramm weitergeht. Doch die Förderbedingungen müssen auf die tatsächlichen Bedingungen der Wohnungswirtschaft angepasst werden.