04. November 2022

Begleiterinnen und Begleiter, die Hoffnung geben

Treff Sozialarbeit: Experten aus Erfahrung begleiten Menschen in seelischen Krisen

Stuttgart. „Ich bemühe mich um professionelle Nähe. Das Fachpersonal um professionelle Distanz.“ So hat Dr. Benjamin Drechsel beim „Treff Sozialarbeit“ der Evangelischen Gesellschaft (eva) seine Rolle definiert. Er arbeitet in der Psychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg mit jungen Patientinnen und Patienten und leitet eine Gesprächsgruppe. „Wir kommunizieren auf Augenhöhe und reflektieren Krisenerfahrungen. Es gibt Teilnehmende, die sich in meiner Gruppe viel offener äußern als bei anderen Angeboten“, berichtet Drechsel. Der promovierte Sozialwissenschaftler hat keine medizinische Ausbildung. Aber er war selbst einmal psychisch krank und er bringt die Qualifikation als „Ex-IN Genesungsbegleiter“ mit.

Ex-IN, nach dem englischen Begriff „Experienced Involvement“, steht für „Experte aus Erfahrung“. Das Schulungsprogramm, mit dem Psychiatrieerfahrene Männer und Frauen sich in zwölf Modulen zum zertifizierten Genesungsbegleitenden weiterbilden können, wurde Anfang der 2000er Jahre entwickelt. Es basiert auf der Überzeugung, dass persönliche Erfahrungen hilfreich sein können, um akut Betroffene zu unterstützen. Benjamin Drechsel ist nicht nur zwei Tage in der Woche als Ex-IN-Genesungsbegleiter tätig, sondern auch als Trainer: Zusammen mit der Psychiaterin Dr. Sandra Apondo bietet er Ex-IN-Kurse in Heidelberg an.

Die Module, die Themen wie Selbstwirksamkeit, Empowerment und Salutogenese behandeln, sind keine Therapie, können jedoch einen therapeutischen Effekt haben und bieten die Gelegenheit zum wechselseitigen Lernen – auch für das Fachpersonal. „Wir wollen Veränderungen im System der Psychiatrie anstoßen“, sagt Sandra Apondo. Kritisch sieht sie, dass längst nicht alle zertifizierten Ex-IN-Genesungsbegleitenden eine Stelle finden.

„Menschen in seelischen Krisen hoffnungsvoll begleiten“, so umschreibt Bärbel Nopper das Konzept. Sie ist Vorständin des Vereins „Offene Herberge“, unter dessen Dach die Stuttgarter Ex-IN-Kurse angeboten werden. Sechs dieser Kurse gab seit 2010 bislang, insgesamt 108 Männer und Frauen haben teilgenommen. Manche davon arbeiten heute im Rudolf-Sophien Stift, in Gemeindepsychiatrischen Zentren oder in der Psychiatrischen Klinik Winnenden. „Die Stuttgarter Ex-IN-Kurse sind eine Erfolgsgeschichte“, sagt Bärbel Nopper.

Mehr Informationen im Internet

Selbsthilfe Psychiatrie Stuttgart: www.ex-in-stuttgart.de

Genesungsbegleiter Baden-Württemberg: www.ex-in-bw.de

Fachstelle Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung: www.teilhabeberatung.de