13. November 2018 News

Die Türen immer offen

Kindernachmittag im Hoffnungshaus © Hoffnungshaus Leonberg

Im Leonberger Hoffnungshaus leben Einheimische und Geflüchtete zusammen

Drei Frauen auf einem Zimmer, mehr als 70 Menschen teilen sich Küche und Bad. Auch das ist Flüchtlingsrealität in Deutschland. „Sehr anstrengend“ nennt Alyaa Elkhudary das. Heute ist für die 30-jährige Syrerin alles anders.

Alya Elkhudary © Matthias Seitz

Seit Dezember 2016 lebt Elkhudary im Hoffnungshaus in Leonberg, in einer Wohngemeinschaft mit zwei deutschen und zwei chilenischen Frauen sowie einer weiteren jungen Frau aus Syrien. Insgesamt  beherbergt das Haus in zwei Wohngemeinschaften und sechs Wohnungen für Familien  derzeit 39 Menschen: 20 Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und dem Kosovo sowie 19 Einheimische.  Nächstes Frühjahr, wenn die Renovierungsarbeiten im Nachbarhaus abgeschlossen sind, können 80 Menschen im Leonberger Hoffnungshaus Platz finden, etwa zur Hälfte Geflüchtete und zur Hälfte Einheimische.

Miteinander zu wohnen ist Teil des Integrationskonzepts, das unter dem Motto „aus Fremden werden Freunde“ steht. Die Bewohner sollen sich mit dem Projekt identifizieren. Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Aufenthaltsstatus oder Religionszugehörigkeit spielen bei der Auswahl der Bewohnerinnen und Bewohner keine Rolle. Das Haus will den interreligiösen Dialog leben. „Wir sind Christen, wir bleiben Christen und wir leben das auch. Wir wollen in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung in aller Unterschiedlichkeit miteinander leben“, sagt Thomas Röhm, der zusammen mit seiner Frau Angelika 2016 das Haus aufgebaut hat. Inzwischen verantworten beide den Bereich Flucht und Integration der Hoffnungshäuser, die es jetzt auch in Esslingen und Bad Liebenzell gibt. Weitere Häuser sind geplant und im Aufbau.

„Eine Insel, nicht Deutschland“

„Das Hoffnungshaus ist besonders. Wir leben hier auf einer Insel, nicht in Deutschland“, erzählt Elkhudary. „Wir verstehen uns gut, sind eine schöne bunte Familie.“ Draußen, außerhalb des Hauses, in Deutschland eben, schaue man sie vielfach komisch an, weil sie ein Kopftuch trage. Das Bild, das manche vom Islam und von Flüchtlingen hätten, sei nicht schön. „Manche unterstellen uns, wir würden noch in Zelten leben, und können sich nicht vorstellen, dass es bei uns auch Universitäten gibt.“ Dabei seien sie doch auch moderne, ausgebildete und offene Menschen und versuchten einen guten Eindruck zu machen. „Aber das ist nicht einfach. Mich gleichzeitig zu integrieren und meine Wurzeln nicht zu verlieren, ist eine tägliche Herausforderung.“ Alyaa Elkhudary, die in Damaskus Germanistik studiert und als Deutschlehrerin gearbeitet hatte, war Jahre zuvor schon mal in Deutschland. Da hatte sie wegen ihrer guten Leistungen ein Stipendium für ein Auslandessemester in Berlin bekommen. Für sie war das eine tolle Erfahrung, sie fühlte sich willkommen. Seit sie mit ihrem Bruder und dessen Familie aus Syrien geflohen ist, nimmt sie das Land anders wahr. „Die Atmosphäre hat sich geändert. Ich empfinde das problematisch“, sagt sie. 

Seit kurzem hat Elkhudary einen Dienstauftrag von 40 Prozent bei der Hoffnungsträgerstiftung, die mit ihren Erträgen Lohn- und Verwaltungskosten sowie weitere Projekte finanziert. Alyaa Elkhudary betreut einen Pool von Sprachvermittlern vorwiegend für Krankhäuser und Schulen. Darüber hinaus hat sie eine Teilzeitbeschäftigung an einer Sonderschule, die auch Kinder aus Syrien und dem Irak besuchen. Dort übersetzt sie für Lehrkräfte, Eltern und Kinder. „Ich wollte immer arbeiten“, sagt sie. „Mit Hilfe des Hoffnungshauses konnte ich dieses Ziel erreichen.“ Einige Zeit möchte sie noch im Hoffnungshaus bleiben. Dann will sie ausziehen, anderen die Chance ermöglichen, die sie durch das Hoffnungshaus hatte, und einen Masterstudiengang belegen.

Matthias Seitz © Stephan Braun

Hilfe zur Eigenständigkeit

Leonberg war das erste Hoffnungshaus und gilt als Ideenwerkstatt. Neben dem integrativen Wohnen gehört die Arbeitsmarktintegration zu den wesentlichen Säulen des Konzepts. „Wir bieten kein Rundum-Sorglos-Paket, wir wollen die Eigenständigkeit unterstützen“, betont  Matthias Seitz, der seit September hauptamtlich dabei ist und mit seiner Frau Cathrin, einer Sozialpädagogin und Integrationsmanagerin, den Standort Leonberg leitet. Und so hilft ein Team bei Bewerbungsschreiben, bietet Unterstützung bei der Suche nach Praktika und Ausbildungsplätzen und kann inzwischen auf ein Netzwerk von Firmen bauen. Inzwischen arbeitet einer der Geflüchteten als Autolackierer, einer als Landschaftsgärtner, eine als Lehrerin und ein Geflüchteter, der immer mal wieder das Hoffnungshaus besucht, bei einem weltweit führenden Anbieter von Systemen für die Tür-, Fenster- und Sicherheitstechnik.

Natascha Evseev, die ihren Bundesfreiwilligendienst im Hoffnungshaus eben verlängert hat, versucht solche Plätze mit aufzutreiben. „Ich habe einen Geflüchteten mit zum Bäcker begleitet“, erzählt sie. Die beiden sollten sich kennenlernen, damit der junge Mann vielleicht einen Praktikumsplatz bekommt. „Die haben sich auf Anhieb gut verstanden und der Bäcker machte sich gleich Gedanken, wie das mit einem Ausbildungsplatz klappen könnte. Das war voll schön“, sagt die 20-Jährige. Das Schönste aber sei das Zusammenleben. Natascha Evseev wohnt in der gleichen Wohngemeinschaft wie  Alyaa Elkhudary. „Da wird viel zusammen gemacht und viel gelacht“, sagt sie. „Das Hoffnungshaus ist wie eine große Familie, die Türen sind immer offen.“

Immer Leben im Haus

Das bestätigt auch Karin Link. Die 29-Jährige lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren kleinen Töchtern im Hoffnungshaus. „Da ist immer Leben im Haus.“ Der Garten gilt als Begegnungsstätte, ebenso wie der gemeinsame Aufenthaltsraum mit Küche, in dem auch die Sprachkurse stattfinden. Es gibt ein wöchentliches Kinderprogramm, zu dem auch Nachbarskinder kommen, drei Mal im Montag die so genannte Fridaynight, wo Jung und Alt miteinander spielen und Spaß haben. Beim monatlichen Bewohnerabend bringt jeder etwas zum Essen mit oder es wird gemeinsam gekocht. Eine Zeit lang hat eine Ehrenamtliche Nähkurse angeboten, eine Friseurin hat ihren Beruf vorgestellt und andere haben zusammen eine Sitzecke für den Garten und einen Hasenstall gebaut. Da leben jetzt drei Hoffnungshaushasen. Das Leben im Hoffnungshaus sei mit dem Wohnen in einem üblichen Mehrfamilienhaus kaum zu vergleichen, meint Karin Link. „Das fängt mit den Gesprächen im Treppenhaus an und geht weiter, wenn ich die Kleine aus dem Kindergarten abhole und dem Nachbarn zur Sicherheit das Babyphon in die Hand drücke, damit die Jüngste weiterschlafen kann.“ Und für die Kinder habe die Herkunft ohnehin keine Bedeutung. Wenn ihre dreieinhalbjährige Tochter Lina gefragt werde, woher denn der Nachbarsjunge Bilal sei, antworte sie ganz selbstverständlich: „Na aus Leonberg“.  

Stephan Braun

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