20. September 2022

„Die Kunst ist, dass die Tür aufgeht“

„Aufsuchende Hilfen“ der eva kümmern sich um chronisch suchtkranke Menschen

Stuttgart-Nord/-Süd. Wer chronisch suchtkrank ist, schafft es meist nicht, länger abstinent zu bleiben. Er oder sie leidet oft auch an einer psychischen Krankheit, ist sozial isoliert – und kann sich selbst nicht mehr helfen. Solche Menschen haben kaum noch Kontakt zum Hilfesystem; sie verlassen ihre Wohnung fast nur noch, um sich Alkohol zu besorgen. Für sie gibt es seit 2020 die „Aufsuchenden Hilfen“ des Beratungs- und Behandlungszentrums der Evangelischen Gesellschaft (eva). Seit dem Frühjahr 2022 arbeiten die sozialen Fachkräfte direkt von Zuffenhausen aus mit Betroffenen, die in Stammheim, Feuerbach, Weilimdorf und Zuffenhausen leben. Andere eva-Mitarbeitende betreuen Suchtkranke auf den Fildern in Vaihingen, Möhringen, Degerloch, Birkach und Plieningen.

Wie erreicht man Menschen, die in Not sind und sich keine Hilfe holen? „Die Kunst ist, dass die Tür überhaupt aufgeht, nachdem uns jemand verständigt hat“, erzählt Wolfgang Haag, der Teamleiter der Aufsuchenden Hilfen. „Zunächst besuchen wir die Menschen daheim, kümmern uns um elementare Dinge, die nicht mehr funktionieren: Arztbesuche, der Kontakt zum Job Center, der Erhalt der Wohnung. Die Sucht wird erst später zum Thema.“ – „achTsam“ heißt dieser Baustein der Hilfen, den der Caritasverband für Stuttgart sowie die Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten in weiteren Stuttgarter Stadtteilen anbieten.

Abhängigkeit ist keine Folge von Willensschwäche

Immer wieder schaffen es die vier zuständigen eva-Kolleginnen und Kollegen, dass die Lebensqualität der suchtkranken Menschen verbessert wird. Sie helfen ihnen bei Ämtergängen und der Haushaltsführung, vermitteln ihnen Hilfen, um ihre Sucht zu bekämpfen, begleiten sie in persönlichen Krisen. „Abhängigkeit ist eine Erkrankung, keine Folge von Willensschwäche“, betont der Suchtberater. Das weiß er aus langjähriger Erfahrung: Er arbeitet seit dreißig Jahren im Beratungs- und Behandlungszentrum der eva.

In einem zweiten Baustein unterstützen die Aufsuchenden Hilfen der eva chronisch suchtkranke Menschen in Wohnungsnot. Drei Sozialpädagogen bieten für sie Sprechstunden an: Zum einen bei der Straffälligenhilfe der Sozialberatung Stuttgart, zum anderen in der Fachberatung für wohnungslose Menschen der eva im Stuttgarter Norden.

Wichtig ist, wieder Ziele zu entwickeln

Manche Männer und Frauen, die seit vielen Jahren suchtkrank sind, schaffen es nicht, dauerhaft trocken zu werden. Selbst dann, wenn sie schon längere Abstinenzphasen und Behandlungen hinter sich haben. Für sie hält das Team um Wolfgang Haag einen dritten Baustein bereit: Sie werden langfristig im Rahmen der Eingliederungshilfe unterstützt; so können sie auch Depressionen, Angststörungen oder Psychosen behandeln lassen. Die sozialen Fachkräfte vermitteln den Kranken Kontakte zu Ärzten. Und sie helfen ihnen, wieder Beziehungen aufzubauen, indem sie Ausflüge mit ihnen machen oder Kontakte zu Selbsthilfegruppen und den Gemeindepsychiatrischen Zentren vermitteln. „Früher sind uns diese Leute verloren gegangen“, berichtet Haag. „Jetzt haben wir ein Zeitdeputat für den einzelnen Menschen und können dranbleiben.“

Wichtig für chronisch suchtkranke Menschen ist, wieder Ziele zu entwickeln. Das kann der Wunsch sein, dass es einem körperlich wieder besser geht, dass die Wohnung erhalten bleibt, dass der Tag wieder eine Struktur bekommt, dass der Konsum reduziert werden kann… Finanziert werden all diese Hilfen aus Mitteln der Stadt Stuttgart sowie aus Eigenmitteln der eva.

Bei allen drei Bausteinen hat Haag die Erfahrung gemacht: „Irgendwann kommen diese Männer und Frauen zu uns in die Beratungsstellen, wenn wir durch die aufsuchende Arbeit eine Beziehung aufgebaut haben. Aber da ist vorher ganz viel zu tun.“

Für Rückfragen wenden Sie sich gerne an Wolfgang Haag, Tel. 01 51.40 65 49 82, wolfgang.haag(at)eva-stuttgart.de