26. November 2021 News

„Mehr als Worte“

„Mehr als Worte – Sprache und Identität in der Vielfaltsgesellschaft“ – unter diesem Titel trafen sich rund 40 Fach- und Führungskräfte aus diakonischen und kirchlichen Diensten und Einrichtungen zum zweiten Online-Forum Interkulturelle Orientierung.

Kübra Gümüsay, Journalistin und Bloggerin, las aus ihrem Buch „Sprache und Sein“ . Darin beschreibt sie, wie Sprache das Denken prägt und ein Politikum ist. Im Vergleich verschiedener Sprachen machte Kübra Gümüsay deutlich, wie bereits der Aufbau und die Struktur von Sprache unterschiedliche Sichten auf die Welt und die Stellung des Menschen in der Welt beinhalten. In einer machtkritischen Analyse von Sprache untersuchte Kübra Gümüsay insbesondere  Phänomene wie Stereotypisierung, Kategorisierung und Definition.  Menschen wie z.B. Geflüchtete oder  Minderheiten werden dadurch zu „Benannten“, deren eigene Sicht als Betroffene nicht vorkommt.  Die öffentliche Repräsentation bleibt denen vorbehalten, die benennen, zum Beispiel Politiker und Politikerinnen, Journalisten und Journalistinnen oder Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.

Professor Dr. Johannes Eurich, Direktor des Diakoniewissenschaftlichen Instituts der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg, ging in seinem Beitrag auf biblisch-theologische Aspekte zu Sprache und phänomenologische Studien zur Fremdheit ein. Entscheidend sind die inneren Haltungen, die sich dann auch in der Sprache ausdrücken. „Othering“ beschreibt einen Prozess, wie Menschen als die Anderen beschrieben und festgelegt werden. Ganze Bevölkerungsgruppen, die nicht der definierten Norm entsprechen  wie zum Beispiel Menschen mit Behinderung, alte Menschen oder Menschen mit Migrationsgeschichte werden so zu Anderen gemacht. Auch wenn in der Bibel durchaus  ambivalente exegetische Befunde zum Umgang mit Fremden zu finden sind, betont die biblische Botschaft in ihrem Kern durchgängig  die Liebe und Zuwendung Gottes zu jedem Menschen. Das Reich Gottes enthalte einen Ansatz, der sich auf den Anderen zubewegt und gerade den Benachteiligten Achtung entgegenbringt. Als Chance diakonischer Praxis sieht Professor Eurich die Bereitstellung von Erfahrungsräumen in der Begegnung mit sogenannten Anderen.

„Sprache gilt gemeinhin als das Menschlichste am Menschen“, so Kirchenrätin Eva-Maria Armbruster, Vorstand Sozialpolitik im Diakonischen Werk Württemberg, in ihren einführenden Worten. Und Sprechen gehört ganz selbstverständlich zu unserem Alltag, besonders auch zu unserem Alltag in der Diakonie. Im Hinblick auf Sprache erwachse für die Diakonie eine hohe Verantwortung „ich bin sehr dankbar und froh, dass wir heute Gelegenheit haben, noch einmal neu sensibel zu werden für Sprache, für Sprechen und die Wirkungen daraus.“ Eva-Maria Armbruster stellte das Forum als Jubiläumsveranstaltung in den Kontext der Verbandsprozesse zu Interkultureller Orientierung. Bereits vor über zehn Jahren hat die Diakonie Württemberg Leitlinien und Handlungsempfehlungen zur Interkulturellen Orientierung entwickelt und diese kontinuierlich in Richtung Diversitätsorientierung in der Vielfaltsgesellschaft weiterentwickelt. Die Einrichtung von vier Fachstellen zur Interkulturellen Orientierung, die diakonische Träger beraten und in Prozessen diversitätssensibler Organisationsentwicklung begleiten, ist nach Armbruster für die damalige Zeit eine sehr innovative Entscheidung gewesen.